Interview mit Mai-An Nguyen (Schaubühne)

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Im Frühjahr 2020 saßen die Theaterpädagogische Abteilung der Schaubühne und die Vertical Stiftung zum ersten Mal zusammen, um ein gemeinsames Projekt zu planen. Dann sorgte die Corona-Pandemie für Unterbrechungen des Theaterbetriebes und nach den Sommerferien 2021 konnte es - mit entsprechender Vorsicht - endlich losgehen. Mai-An Nguyen, Leiterin der Theaterpädagogischen Abteilung an der Schaubühne, berichtet von ihren Planungen zu einem Publikumsgespräch, das sie und die freie Theaterpädagogin Kokomini Nemesi mit Jugendlichen nach einem Besuch der aktuellen Kleist-Inszenierung „Michael Kohlhaas“ von Simon McBurney und Annabel Arden entwickeln möchten.  

Liebe Frau Nguyen, was gefällt Ihnen so sehr an diesem Projekt, dass Sie seit bald zwei Jahren an der Planung festhalten?

Das Besondere an diesem Projekt ist, dass wir den jungen Teilnehmenden die Möglichkeit geben, Theater selbst mitzugestalten. Nachdem sie eine Vorstellung mit anschließendem Publikumsgespräch besucht haben, wird die Gruppe ein eigenes, neues Format für ein Publikumsgespräch erarbeiten. Publikumsgespräche nehmen leider oft die Form an, dass sich das Publikum bestätigt, dass es alles auf der Bühne bereits intellektuell durchdrungen hat. Das hat durchaus seinen Reiz, gibt aber Menschen, die tatsächlich inhaltliche Fragen haben, keine Möglichkeit diese Fragen zu stellen. Wir möchten versuchen, mit den Jugendlichen ein Format zu entwickeln, das allen Menschen den Raum gibt für Austausch. 

Wir mussten den Starttermin des Projektes wegen der Corona-Pandemie mehrfach verschieben und in unseren Gesprächen haben Sie immer wieder betont, dass Sie hoffen, mit den Jugendlichen trotzdem noch in diese aktuelle Kleist-Inszenierung gehen zu können. Warum „Michael Kohlhaas“? 

Die Figur Michael Kohlhaas ist eine, die sich bis zum bitteren Ende nach Gerechtigkeit sehnt und nicht aufhört, darum zu kämpfen, auch wenn es hoffnungslos erscheint. Den Jugendlichen geht es häufig ganz ähnlich. Sie sehen sich immer wieder mit einer Politik konfrontiert, die die junge Generation und ihre Zukunft wenig im Blick zu haben scheint. Zum Beispiel gehen seit Januar 2019 auch in Deutschland Schüler:innen jeden Freitag auf die Straße und demonstrieren für eine bessere Klimapolitik. Die Veränderungen in der Politik verlaufen aber eher schleppend. Angesichts des sich massiv verändernden Klimas stellt sich für die jungen Menschen, genau wie für Michael Kohlhaas, die Frage, welche Formen des Widerstandes effektiv und angemessen sein können. 

Welche Jugendliche wollten Sie für das Projekt gewinnen?

Uns war es wichtig, Teilnehmer:innen zu finden, die nicht bereits regelmäßig mit Theater in Berührung kommen. Das ist uns auch gelungen, u.a. in Zusammenarbeit mit Gangway e.V. und einer gezielten Ansprache über Schulen aus unserem Netzwerk.  

An wen richtet sich das Publikumsgespräch, das die Teilnehmenden mit Ihnen entwickeln?

Das neue Format des Publikumsgesprächs soll im besten Fall allen einen wertungsfreien Raum für Austausch bieten. Egal, ob die Person bereits jahrelang Theatergänger:in ist, oder das erste Mal kommt und viele Verständnisfragen hat. 

Vielen Dank für das Gespräch!

Foto: Christian Bartsch für Deutsches Schauspielhaus Hamburg (das Foto gehört nicht zum auf dieser Seite beschriebenen Projekt, sondern stammt aus "Unfreiheit ist eine dicke Robbe an Land", das die Vertical Stiftung am Deutschen Schauspielhaus Hamburg unterstützt hat).